Glänzender Jubiläumsabend des MGV „Liederkranz“
[Allgemeine Zeitung Bingen, 08.03.86]
WEILER. - Wenn der älteste Verein Weilers seinen hundertjährigen Geburtstag feiert, wird man sich nach einem größeren Raum umsehen müssen. Wenn es sich dabei um ein Jubiläumskonzert des Chores des Männergesangvereins, „Liederkranz“ 1866 e. V. Weiler handelt, scheint selbst die Rhein-Nahe-Halle mit ihren 700 Plätzen zu klein zu sein.
Dabei waren es bestimmt nicht nur die beiden im In- und Ausland erfolgreichen Solisten Gerty Arras (Sopran) und Lothar Fritsch (Baß), die für diesen Andrang sorgten: Der Chor des MGV „Liederkranz“ Weiler ist durch viele Preise weit über die Grenzen Weilers bekannt und wartete mit einem ansprechenden und anspruchsvollen Programm auf, das mit großer Liebe zur Oper, stilistischer Sachkenntnis und musikalischem Geschmack zusammengestellt worden war.
Durch eine Pause getrennt erklangen Auszüge aus deutschen Opern von Mozart bis Wagner und Teile aus überwiegend italienischen Opern, meist von dem Opernkomponisten schlechthin: Giuseppe Verdi. Durch das Programm führte mit viel Charme und Sachkenntnis der durch Funk und Fernsehen bekannte Hubertus Petroll.
Trotz seiner anfänglichen Befürchtung, nicht das richtige Maß zu finden, verband er unterhaltsam zwischen den einzelnen Nummern Geschichtchen über Musiker mit musikgeschichtlichen Hintergründen über die erklingenden Werke und die soziale Stellung ihrer Schöpfer.
Diese Moderationen sollten nicht nur der Information und Unterhaltung der Zuhörer dienen, wie er in seiner Einleitung betonte, sondern auch den Musikern Gelegenheit zur Verschnaufpause geben.
Dies hatte besonders das durchgehend spielende Blasorchester nötig. Das Polizei-Musikkorps Rheinland-Pfalz trat nicht nur als solistischer Begleiter des Chores und der Solisten auf. Dabei mußten die Musiker sich nicht nur auf die beiden sich ständig abwechselnden Dirigenten, ihren eigenen Leiter Hans-Georg Conrad und den Chorleiter Willibald Stipp, einstellen, sondern einige wechselten oft zwischen und während der Stücke ihre zum Teil sehr verschiedenartigen Instrumente. Wer kann es da noch übel nehmen, wenn einzelne schwierige Einsätze der Posaunen, Klarinetten oder Trompeten zu spät kamen wie in der Ouvertüre der "Entführung aus dem Serail" von Mozart.
Hans-Georg Conrad führte seine Musiker souverän durch viele Klippen und gestaltete jeden Tempoübergang gefühlvoll und sicher. Lediglich etwas größere dynamische Schattierungen, besonders nach unten, hätte man sich zumindest bei der Chorbegleitung gewünscht, so bei Wagners Pilgerchor aus „Tannhäuser“.
Im Mittelpunkt des Abends stand natürlich der Jubilar, der sich sein Ständchen selbst singen mußte, wie es eben oft bei Musikern ist. Es ist sicherlich nicht zuletzt seinem ebenso umsichtig wie energisch dirigierendem langjährigen Leiter Willibald Stipp zu verdanken, daß der Gesangverein einen sehr gesunden Altersdurchschnitt hat. Damit steht und fällt jeder Chor, was der Jubilar nicht nur auf seinen letzten erfolgreichen Wettbewerben, sondern auch in diesem Konzert beweisen konnte: Disziplin, Präzision, gute Textverständlichkeit in den a-capella-Stellen bei Mozart und im Jägerchor aus dem „Freischütz“ von Carl Maria von Weber, klare dynamische Schattierungen durch kräftiges Forte im Eröffnungschor von Verdis „Ernani“ schöne Piano-Stellen im Soldatenchor von Gounod, lebendige Crescendi in Mozarts Priesterchor aus der „Zauberflöte“ und organische Decrescendi im Pilgerchor von Wagner bewiesen mit der fast durchgehend guten Intonation die Leistungsfähigkeit des Chores.
Die Überwindung einzelner Deklamationsschwierigkeiten einiger sehr schnellen Parlando-Stellen in Verdis ,,Ernani" und die großen klanglichen Unterschiede zwischen leisen und lauten Tönen durch gezielte Stimmbildung wird den Chor auf seinem bisher so erfolgreichen Weg weiterführen.
Erfreulich der gute Griff bei den Solisten. Obwohl sie relativ viele Pausen hatten, gelang ihnen eine stimmtechnische und ausdrucksmäßige Steigerung während des Konzertes. Gerty Arras, als attraktive Papagena vom Publikum mit viel Vorschußlorbeeren begrüßt, begeisterte als Mimi in Puccinis „La Bohème“ durch schlichte Gestik und stimmlichen Ausdruck.
Lothar Fritsch sang den Pater Guardian im Finale des 2. Akts der ,,Macht des Schicksals" von Verdi nicht weniger überzeugend und stimmgewaltig, was sich direkt auf den Chor übertrug, der Gerty Arras ebenso einfühlsam begleitete.
Damit verabschiedeten sich Solisten, Chor und Orchester unter der Leitung von Willibald Stipp ergreifend und eindrucksvoll.
MARTIN DAAB